Computer-Spielsucht: Antworten eines Betroffenen

Nach unserem Seminar „Medien-Onlinesucht“ erreicht uns eine Email eines Betroffenen und guten Freund. Wir haben die Erlaubnis seinen Brief zu veröffentlichen. Das Suchtbrückenteam bedankt sich herzlich für die Offenheit.

Hier der Inhalt 1 zu 1:

1.) In welchem Alter haben Sie angefangen, PC-Spiele zu spielen?
Mit 10. Ich hatte meinen eigenen Computer und merkte dass ich es gut kann. Dadurch hab ich mich stark gefühlt.
2.) Welche Spiele haben sie „exzessiv“ gespielt?
World of Warcraft, Massive Multiplayer Online Role Playing Game.
Rome 2 Total War, Groß angelegtes Strategie mit geschichtlich korrekten Völkern und deren Aufbau.
Age of Empires 2 Mit das berühmteste Strategiespiel, damit kann fast jeder Spieler was anfangen.
Half Life 1 und 2. Half Life 1 waren so das erste Spiel, welche ich exzessiv gespielt habe, da man sich darüber in der Schule unterhalten hatte und man somit Teil von etwas war, was man beherrschte.
Schatten von Mordor, den genauen Titel weiß ich nicht mehr: Hier konnte man bekannte Figuren der Herr der Ringe Geschichte treffen und auch Ork-Führer mit einem einzigartigem Charaktersystem auf deine Seite ziehen und sie somit gegen die Horden schicken.
3.) Wann haben Sie gemerkt, dass es zur Sucht wurde?
Da muss ich länger ausholen. Ich war als Jugendlicher ein Außenseiter und daher nicht besonders beliebt und hab daher Dinge gesucht, die mir Spaß machen und mich somit glücklich machen. Jeder Abhängigkeitserkrankte wird Ihnen bestätigen, dass Ihn seine Sucht glücklich oder zufrieden macht, da Sie etwas ausfüllt, was der „Suchende“ nie hatte. Ich konnte meine latenten Sehnsüchte ausleben. Sobald dieser „Stoff“ diesen Hohlraum an Sehnsüchten ausfüllt, macht man es exzessiv.Man hat seine Toleranzgrenze immer weiter nach oben geschraubt, um mehr und mehr Zeit in dieses „Hobby“ zu investieren. Gemerkt habe ich es dann, als ich beinahe meine Ausbildung verloren habe, wusste aber keine Alternative. In der Therapie war es dann so, dass ich gelernt habe, dass die Sucht das beste war, was ich zur Bewältigung meiner Situation hatte und das kann ich nur jedem Angehörigen raten, dies im Hinterkopf zu behalten, bevor Sie jemanden wegen seiner Sucht verurteilen oder gar „zur Sau“ machen.
4.) Wie lange saßen Sie täglich vor dem Computer?
12-16 Stunden, Minimum.
5.) Wie veränderte sich durch das permanente Spielen ihr Kontakt zum realen Leben? Haben die Beziehungen zu Familie und Freunden unter der „Sucht“ gelitten?
Ich hab mich zwar noch mit anderen getroffen, hab mich aber kaum noch an Gesprächen beteiligt und dadurch eher wie ein Geist als wie einer gewirkt, der zur Gruppe gehört. Was mir heute viele sagen, dass ich zu steif war und somit unnahbar wirkte. Heute kann ich über mehr lachen, was mich früher schnell auf die Palme gebracht hat. Dazu kommt, dass ich nirgendwo mehr hinwollte, weil ich das Gefühl hatte, alle lachen über einen und wollen dir was. Heute weiß ich, dass sich das nur in meinem Kopf abgespielt hat. Damals wirkte das aber alles sehr real.
6.) War es für Sie überhaupt möglich, noch arbeiten zu gehen?
Körperlich ja, aber mental war ich nur noch auf das Spiel fixiert und hab mir überlegt, was ich dort besser machen kann und wie ich an genug Gold und Equipment komme um besser dazustehen. Außerdem war ich im Spiel jemand. Im realen Leben war ich nur ein Schatten meiner Selbst, so dachte ich.
7.) Was war der Auslöser, dass Sie gemerkt haben, dass es nicht mehr so weitergeht? Oder gab es vielleicht jemanden, der Ihnen geholfen hat, das Problem erst zu erkennen?
Das kann ich gar nicht mal genau beziffern. Ich wollte eigentlich auch in den exzessiven Phasen immer raus, was erleben und das Leben genießen, da war ich mir aber noch selbst im Weg. Es war auch so, dass mir mein Bruder mal aus einer fast ausweglosen Situation geholfen hat und ich das erste Mal jemanden hatte, der mich nicht verurteilt hat so wie es meine Eltern getan haben. Das war so mit der erste Lichtblick, obwohl ich erst Jahre später aufgehört habe zu spielen. Danach hat sich der Gedanke über die Jahre rausgekämpft und ist dann schließlich auch an mein Ohr gedrungen.
8.) Wie sah die Therapie aus, in die Sie sich dann begeben haben? Wie wurde versucht, Ihnen das permanente Spielen abzugewöhnen?
Ich habe mich in die Tagesklinik begeben. Zuerst dachte ich es wäre eine komplette Therapie, doch es ging „nur“ von 8-17 Uhr. Es war am Anfang schwer, doch ich war endlich mal unter Leuten, die mir zugehört haben und nicht mit dem Finger auf mich gezeigt haben und sich über irgendwas von mir lustig gemacht haben. Das mag lächerlich klingen, doch sowas wächst mit den Jahren mehr und mehr an, hält einen in der Sucht fest und ist ohne Hilfe kaum bis gar nicht abzulegen. Direkt nach der Tagessklinik bin ich in die stationäre Therapie und hab dort dank meiner Therapeutin 16 Wochen der Regenarition verbringen dürfen, was einerseits Selbstquälerei ist, da man sich mit seinen schlechten Gedanken und jahrelang antrainierten Phobien auseinandersetzen muss, aber auch mit die beste Zeit meines Lebens hatte, da ich dort wieder dünner wurde, frei reden konnte und auch mal scheiße drauf sein konnte, ohne das man mich dafür verurteilt hat oder gar über mich hergezogen hat.
Das abgewöhnen des Spielens fing damit an, dass ich einfach frei Schnauze erzählt habe, was mich bewegt hat. Das wollte ich schon immer, hab aber nie den Mut dazu gehabt. Und siehe da, keiner hat gelacht und mich verurteilt, sondern man hat mir zugehört, meine Meinung hatte Gewicht und ich wurde respektiert. Genau das, was ich eigentlich nur im Spiel vorher gefunden habe. Dann wurde es immer besser und ich hab in der Therapie verschiedene Gruppen und Aktivitäten gesucht und auch immer weiter abgenommen, was mir noch mehr Auftrieb gab. Nach der ersten Zeit hat sich dann das erste Tief breit gemacht und man wollte wieder spielen. Komischerweise hat mich das weiter vom Spielen entfernt, da mir auch hier (wieder) beigebracht wurde mit schwierigen Situationen umzugehen und das grundlegende menschliche Bedürnisse wie Ärger oder Frustration normal sind und nicht bis aufs tiefste unterdrückt werden müssen, damit man glücklich leben kann. Klingt komisch, is aber so :).

9.) Ist es Ihnen schwergefallen, mit dem täglichen Spielen aufzuhören?
Ja sehr, immerhin hab ich dies 18 jahre meines Lebens als mein 2. Standbein für schlechte Zeiten angesehen und auch als mein Motivationshelfer, wenn in der „realen“ Welt mal wieder alles den Bach runter ging.
10.) Sitzen Sie heute noch gelegentlich vor dem PC und spielen die Games von früher?
Nein. Ein Spiel und ich fall wieder in mein altes Leben zurück. Das will ich nun auf keinen Fall mehr wiederhaben, koste es was es wolle.
11.) Wie sieht es heutzutage mit sozialen Kontakten aus?
Die kommen langsam und stetig. Meine Selbsthilfe und Ihre Partnergruppen helfen mir sehr, die Wochenenden zu überstehen, wo man als „Gamer“ am meisten gespielt hat und die Suchtgefahr am grössten ist. Ich treffe mich regelmäßig mit Freunden und hab auch wieder meinen Bruder und meine Schwester besucht, welche ich lange nicht gesehen habe und die mir beide eine sehr sehr große Stütze sind und immer ein offenes Ohr für mich haben.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.